#Frau Troche schreibt…
In der Bäckerei kaufte sie das größte Stück von seinem Lieblingskuchen mit extra vielen Streuseln. Es handelte sich dabei um ein kreisrundes Plundergebäck mit vanillegelber Puddingfüllung und knusprigen braunen Streuselstückchen garniert mit weißer Puderzuckerhaube. Er hatte ihr mehrfach gesagt, dass er abnehmen wolle. Keine Schokolade. Kein Alkohol. Kein Zucker. Aber sie wusste, wie gern er aß. Sie wusste auch, wie gern sie gegessen hätte. Deshalb hatte sie auch nicht lang gezögert. Ihr innerer Monolog war – für ihre Verhältnisse – erstaunlich kurz ausgefallen.
Sie liebte ihn. So wie er war. Dann konnte es für ihn doch auch nicht so schwer sein, sich zu lieben.
Als sie nach Hause kam, stellte sie die Streuselschnecke nicht einfach nur auf einen Teller. Sie inszenierte das süße Teilchen mit Hingabe und dem ihr eigenen Perfektionismus. Innerhalb weniger Minuten entstand so das perfekte Setting – tauglich für jeden Werbetrailer. Als Kulisse für den Hauptakteur erkor sie einen rosa geblümten Porzellanteller in Begleitung einer versilberten Kuchengabel, einem Flohmarktfund ihres letzten gemeinsamen Urlaubs.
Als er Minuten später durch die Tür trat, wusste sie, es hat geklappt. Sie sah Freude. Pure Lebensfreude. „Warum machst Du das für mich?“, fragte er nach den ersten genussvollen Bissen. „Es macht mir Freude, Dir eine Freude zu bereiten“, antwortete sie. „Letztlich ist es also der reine Egoismus.“ Sie lachte und blickte ihn dabei direkt in die Augen. Er hielt ihrem Blick stand, was eher selten geschah und noch mehr: Er setzte mit seiner zweiten Frage einen obendrauf. „Und Dir, was macht Dir Freude?“, wollte er wissen. Was für eine Frage. Nach all den gemeinsamen Jahren konnte er sie immer noch überraschen. Und sie erklärte ihm, was ihr eine Freude mache, seien die Wörter. Das Aufblitzen des Sinns. Vor allem liebte sie die kleinen Offenbarungen, die Momente, in denen plötzlich ein Lichtstrahl die Elemente des Alltags in ein gänzlich neues Licht taucht. Immer dann, wenn man es am wenigsten erwartet. Sie ist die Beobachterin der tausend Leben um sie herum. Deshalb sammelt sie die Worte der anderen. Nur die schönsten. Die besonders ausgefallen. Doch das würde er nicht verstehen. Das konnte niemand verstehen. Sie hatte ihn bereits wieder an sein Pudding-Streuselteilchen verloren. Versonnen beobachtete sie ihn dabei, wie er die Spitze seines Zeigefingers mit der Zunge befeuchtete, um anschließend die auf seinem Teller verbliebenen Streuselschneckenkrümel mit der feuchten Fingerspitze zu erfassen und in seinen Mund zu befördern. Diesen Vorgang wiederholte er so lange, bis auch die letzten Krümelchen verschwunden waren. Es erfasst sie eine sanfte Euphorie, ein leichtes Prickeln in den Gliedmaßen, ein geradezu physisches Vergnügen, da zu sein und diesen Moment durch die Beobachtung mit ihm erleben zu können. Mitessen – ohne selbst zu essen.